Die Reise: Wohin gehen wir?
Eine der größten rhetorischen Fragen, die jedem Menschen gestellt werden kann, ist die, welche der Koran stellt:
So, wohin gehst du? [1]
Es bedarf dreier Grundvoraussetzungen, um ein Ziel zu erreichen:
- Du musst wissen, was das Ziel ist.
- Finde die Mittel oder den Pfad zu diesem Ziel
- Komm sicher am Ziel an.
Bevor ich den Islam für mich entdeckte, war das mein größtes Problem, ich wusste nicht, was mein wahres Ziel war. Ich bin in den 50ern im Zentrum Londons aufgewachsen, zu einer Zeit, als der Zweite Weltkrieg gerade beendet und jeder den Frieden genießen wollte, der soeben erst gewonnen worden war. Es gab viele Gelegenheiten, Spaß zu haben und glücklich zu sein, insbesondere dort, wo ich lebte, ganz in der Nähe von Piccadilly Circus und Oxford Street, eine Gegend voller Theater, Kinos, Clubs, Läden, Hotels und Restaurants.
Ich wurde bald gewahr, dass die Welt ein großer Ort war und dass es nicht selbstverständlich war, dass ich mein Leben jemals genießen würde, denn man brauchte Geld, um sich zu amüsieren. Alles was ich hatte, war eine ausgeprägte Vorstellungskraft und eine gewisse Fähigkeit, mit Stift und Pinsel durch Kunst zu kommunizieren.
Als die Musik-Explosion in den 60ern stattfand, war das die perfekte Gelegenheit, eine Gitarre in die Hand zu nehmen und meinen Träumen von Geld und Glück nachzujagen. Ich beschloss, mich Cat zu nennen und hatte ausgesprochenes Glück, eine Platte aufzunehmen, von der ein paar tausend Stück verkauft wurden. Bald landete ich einen großen Hit und galt als einer der heißen aufstrebenden Topstars. Aber das währte nicht lange. Nach einem sehr erfolgreichen Jahr erkrankte ich an Tuberkulose und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Da kam mir die große Frage in den Sinn: ‚Was wäre geschehen, wenn ich gestorben wäre? Wohin wäre ich gegangen?‘
Die Frage führte mich auf eine lange Suche nach einer befriedigenden Antwort. Ich hatte die christliche Lehre in der Schule studiert, aber es waren viele Zweifel geblieben, daher beschäftigte ich mich mit Buddhismus. Nach einer Weile begann ich, neue Songs über meine spirituelle Reise zu schreiben und zu singen und die Leute mochten meine Musik mehr denn je.
In den USA und in Europa liebten sie meine Botschaft; ich besang die Gedanken und Hoffnungen meiner Generation und träumte von einer friedlicheren und glücklicheren Welt. Aber obwohl ich sehr viel Geld verdiente und viele Menschen meine Musik liebten, war ich nicht zufrieden. Ich suchte nach wie vor nach der Antwort auf meine Fragen. Ich las weiterhin mehr Bücher über verschieden Philosophien und spirituelle Pfade.
Dann hatte ich Mitte der 70er ein Erlebnis, das mein Leben für immer verändern sollte. Ich schwamm im Pazifischen Ozean, der an diesem Tag sehr aufgewühlt war, und ich verlor all meine Stärke und Kraft, um über Wasser zu bleiben. Niemand war in diesem Augenblick in der Nähe, der mir hätte helfen können. So blickte ich zum herrlichen Himmel auf und betete: „Oh Gott! Wenn du mich rettest, werde ich für dich arbeiten.“ Es verging weniger als eine Sekunde, bis mich von hinten eine Welle erfasste und sanft vorwärts schob. Innerhalb einer Minute hatte ich meine Kraft zurück, war wieder an Land und immer noch lebendig. Danach besuchte mein Bruder Jerusalem, wo er die Moschee sah und die wunderschöne Art, in der Muslime beten. Als er zurückkehrte, brachte er mir als Geschenk einen Koran zum Lesen. Meine Antwort war angekommen. Das erste Kapitel des Koran lehrte mich die Antworten auf die drei Schritte zum Ziel des Glücklichseins. Zuerst verriet es mir in al-Fatihah, dass es der Zweck unseres Daseins ist, Gott zu kennen und zu preisen. Zweitens lehrte es mich, dass man um immerwährendes Glück zu erlangen den ‚Geraden Pfad‘ zurück zu Ihm folgen muss. Drittens erklärt dann der Rest des Koran in allen Einzelheiten, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
1977 sprach ich meine Schahada (Glaubensbekenntnis) und nahm den Islam an. Es war die schönste aller Zeiten und in London war gerade eine neue Moschee erbaut worden, finanziert vom König von Saudi Arabien. Dies war mein glücklichstes Jahr, weil ich einfach in Frieden gelassen wurde, um meine Gebete zu lernen und mein Wissen zu erweitern. Ich wollte meinen Islam vervollständigen und fastete und bezahlte meinen Zakat. Aber bald verspürte ich den überwältigenden Wunsch, das Haus Gottes in Mekka zu besuchen und mich auf den vorgeschriebenen Haddsch zu begeben. Daher besorgte ich mir 1980 ein Visum von der saudi-arabischen Botschaft im Belgrave Square. Dann buchte ich mein Ticket und las rasch nach, welche Rituale ich würde befolgen müssen.
Als das Flugzeug in Dschidda landete, empfand ich ein überwältigendes Gefühl von Zweck und Bestimmung. Meine Reise hatte einen weltlichen Höhepunkt erreicht und ich setzte endlich meinen Fuß auf den glitzernden goldenen Sand und den Geburtsort des Islam; das gesegnete Land, in dem Abraham seinen erstgeborenen Sohn Ismael und seine Mutter Hagar, Friede sei mit ihnen, zurückließ. Hier fühlte ich die Atmosphäre und die Nähe zu meiner Lebensbestimmung, während ich den Fußstapfen des letzten Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm, folgte.
Mein Herz war demütig, als ich darüber nachdachte, was für ein Privileg es für mich war, aus Milliarden von Menschen dazu auserwählt zu sein, das Heilige Haus – die Kaaba – zu besuchen und an demselben Ort meine Gebete zu sprechen, an dem Abraham und Ismael die gesegneten Steine aufgerichtet und seine vier würfelförmigen Mauern gebaut hatten. Das Gefühl war unbeschreiblich. Es schien, als gäbe es keine materielle Distanz zwischen mir und Gott.
“Labbaik! Ich bin hier (zu deinen Diensten), oh mein Herr, Ich bin hier!” Die Welt schien mir verändert nach meiner Rückkehr nach London. Sie war rau und unversöhnlich, Konflikte und Kriege breiteten sich aus, und der Name des Islam wurde von den Medien mit zunehmender Regelmäßigkeit in den Schmutz gezogen. Ich wollte das Gefühl von Frieden und Glück, das ich gefunden hatte, teilen. Daher wurde ich in da‘wa (Mission), Bildung und Hilfe aktiv. Meine musikalischen Aktivitäten hatte ich wegen gewisser Zweifel aufgegeben, obwohl es nichts Spezifisches zu diesem Thema im Koran gab und das Wort Musik nirgendwo direkt erwähnt wurde.
Zudem hatte mir der al-Azhari Imam der Zentral-Moschee gesagt, dass ich innerhalb bestimmter moralischer Grenzen durchaus weitermachen könne. Die Jahre zogen vorbei, und ich erkannte, dass wegen der zunehmenden Feindseligkeit zwischen westlichen und islamischen Kulturen Harmonie und Freundschaft zwischen Nationen und Völkern wieder dringend notwendig wurden. Die Menschen im Westen suchen immer noch nach dem Glück, aber die Medien haben ihnen eingeredet, dass dieses niemals im Islam zu finden sei. Ich habe mich intensiv mit diesem Thema beschäftigte und entschloss mich, mein Lied ‚Peace Train‘ wieder zu singen. Um aufzuzeigen, dass die Schariah in einigen Bereichen unterschiedliche Ansichten erlaubt, schrieb ich das Buch ‚Warum ich immer noch eine Gitarre trage‘, um Beweise für meine Auslegung zu erbringen. Die Rückkehr zum Medium Musik und zu modernen Kommunikationsplattformen war wichtig. Der Prophet, Friede sei mit ihm, sagte: „Sprich zu den Menschen auf der Ebene ihres Verständnisses, oder willst du, dass Gott und sein Bote abgelehnt werden?“ [2]
Es gibt so viel über den Islam zu lehren, über den Frieden und das Glücksgefühl als seine Gaben für die Menschen. Nehmen wir nur mal dies: Wie viele Menschen wissen eigentlich, dass es vier heilige Monate im Jahr gibt, in denen Kämpfe und Kriege von Gott im Koran verboten werden? Ursprünglich war dieses Verbot als Antwort auf Abrahams Aufruf gedacht, Gott in Frieden und Einigkeit anzubeten, und es sollte Stämmen und Menschen die Reise nach Mekka zu ermöglichen, ohne dass sie Angriffe fürchten mussten. Man stelle sich nur mal vor, alle Nationen der Welt würden diese Formel übernehmen und es wäre den Menschen so möglich, für ein volles Drittel des Jahres die Luft des Friedens zu atmen, ihren Geschäften nachzugehen und zu ihren Familien heimzukehren, ohne Bombenhagel oder Kugeln fürchten zu müssen. Würde sie das nicht zumindest ein zweites Mal zum Nachdenken darüber bewegen, ob sie sich die Gesichter schwärzen, die Waffe in die Hand nehmen und zurück in die Schützengräben springen sollen? Dann würde ihnen vielleicht klar, dass der Islam ihnen eine Menge bieten kann.
Ja, wir Muslime müssen nach wie vor ebenso viel lernen, wie wir lehren können.
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1 Der Koran, Al-Takwir (Das Ballen) 81:26 (Übersetzung von M. A. Rassoul)
2 Sahih al Bukhari